Anlässlich des 50. Jubiläums der Stiftung Gertrud Kurz blicken wir zurück, begutachten die Gegenwart und wagen einen Blick in die Zukunft – ganz gemäss der Haltung von Gertrud Kurz, die stets das Vorwärtsschauen betonte.
Ein Blick zurück
«Es ist die abwechslungsreiche Geschichte einer kleinen Stiftung, die dank Innovationskraft und Flexibilität personelle und finanzielle Schwierigkeiten immer wieder meistern konnte» schrieb die ehemalige Stiftungsratspräsidentin Joy Matter in den Kurznachrichten 2004. Dreissig Jahre zuvor wurde die Stiftung gegründet, um durch Spendengelder Geflüchtete zu unterstützen. Ein weiteres Ziel war es, die Anliegen von Gertrud Kurz auch zwei Jahre nach ihrem Tod weiterzutragen. Der Stiftungsrat war sich einig: Der Name Gertrud Kurz muss bekannt bleiben, weil die Werte, für die Gertrud Kurz eingestanden ist, immer noch aktuell sind, so Joy Matter. Schon bald nach der Gründung wurde diskutiert, ob sich die Stiftung mehr um das Sammeln und Verteilen von Geld oder eher um politische Arbeit kümmern solle – eine Diskussion, die seither den Stiftungsrat beschäftigt.
Es ist beeindruckend, wie viel unsere Vorgänger*innen mit der Stiftung Gertrud Kurz erreichten. Seien dies die erneuten Anerkennungen für Gertrud Kurz, Publikationen, politisches Engagement, Anlässe oder das Einrichten des sogenannten Pressebüros «Flüchtlingsinformationen». Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums wurden 2014 Sans-Papiers-Anlaufstellen mit einem ausserordentlichen Beitrag unterstützt, um sich solidarisch mit den alltäglichen Strapazen von Sans-Papiers zu zeigen. So konnte die Stiftung über die Jahre immer wieder Akzente in ihrem Wirken setzen.
Gegenwart und Zukunft
Seit der Jahrtausendwende kennen die Mitglieder des Stiftungsrates Gertrud Kurz nur noch aus Schilderungen und vereinzelten Video- und Tonaufnahmen. Gertrud Kurz ist jedoch eine wichtige Orientierungsfigur geblieben. Wo wir im Jahr 2024 den grössten Handlungsbedarf sehen? Krieg, Flucht, menschliches Leid sind präsenter denn je. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen: Eine Flucht prägt die betroffenen Menschen ein Leben lang. Wer flüchten muss, hat unzählige Hürden zu bewältigen: Sprachbarrieren, Deklassierung, Fremdbestimmung bis hin zu Identitätskrisen. Heute fördern wir mit Vorliebe Projekte, die nicht für, sondern mit oder sogar von Menschen mit Migrationshintergrund gestaltet werden.
Der Stiftungszweck steht für uns alle an erster Stelle. Der hohe Wirkungsgrad der Stiftung und das Vertrauen unserer Spender*innen motiviert. Wir möchten etwas bewegen, damit der Name Gertrud Kurz auch in 50 Jahren noch ein Begriff ist; und dort wirken, wo unser Handlungsspielraum am grössten ist.
Anlass 50. Todestag von Gertrud Kurz
Um das Andenken an Gertrud Kurz wertzuschätzen lancierte die Stiftung Gertrud Kurz 2022 einen Gedenkanlass.
Unsere Stiftungsrätin Sévé Karakus gibt Einblick in den erlebten Asylprozess und plädiert überzeugend für mehr "empowerment". Eine Kurzversion ihres Artikels ist in der Zeitschrift Frauenstimme (3/2021) der Organisation Frauen* für den Frieden erschienen. Zugang zur Vollversion gibt es hier.
Frauenbiografien sichtbar machen - so lautet das erklärte Ziel der Hommage 2021. Gertrud Kurz und viele weitere Schweizer Pionierinnen haben sich für eine gerechtere Schweiz eingesetzt und dazu beigetragen, dass die Frauen hierzulande ab 1971 das Stimm- und Wahlrecht erringen konnten. Anlässlich der 50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht erhalten die mutigen Frauen nun die Anerkennung, die ihnen vielleicht zeitlebens nie zuteilgeworden ist und in den Geschichtsbüchern nach wie vor fehlt.
Im Rahmen der Ausstellung haben Schulklassen je zwei Frauen für ihren Kanton ausgewählt. Ihre Portraits sind nun in der unteren Altstadt von Bern zu finden. Repräsentativ für den Kanton Appenzell Ausserrhoden erkoren die Jugendlichen Gertrud Kurz. Sie begründen ihre Auswahl wie folgt:
«Gertrud Kurz-Hohl fasziniert uns aufgrund ihrer Beharrlichkeit. Zeitlebens hat sie sich für Flüchtlinge eingesetzt und schreckte nicht vor dieser schwierigen Arbeit zurück. Mit Herzblut und voller Überzeugung hat sie sich für die Flüchtlinge engagiert. Uns beeindruckt dabei, dass Gertrud Kurz-Hohl sogar versucht hat, den Bundesrat während des Zweiten Weltkrieges zu überreden, die Grenzen für Flüchtlinge nicht zu schliessen. Zudem war sie eine weltoffene Frau, die für ihre Zeit sehr human dachte. Sie gründete die Hilfsorganisation und legte für dieses wichtige und gerade auch heute aktuelle Thema der Flüchtlingshilfe wichtige Grundsteine in Gesellschaft und in Politik.»
Klasse 5e, Kantonsschule Trogen. Lehrperson: Fabienne Carniello
Das Portrait von Gertrud Kurz ist noch bis am 30. Juni 2021 an der Gebäudefassade der Burgerbibliothek Bern (Ecke Herrengasse / Casinoplatz) zu finden. Die Stiftung Gertrud Kurz unterstützt das Projekt Hommage 2021 finanziell.
Weitere Infos: www.hommage2021.ch
Zum Porträt: www.hommage2021.ch/portrait/gertrud-kurz-hohl
Der Stiftungsrat an der Hommage 2021
Die Historikerin Heidi Eisenhut erzählt, wie Gertrud Kurz auch nach ihrem Wegzug nach Bern mit ihrer Heimat verbunden blieb und wie es ihr gelang, als Frau sich für Gerechtigkeit einzusetzen.
Gertrud Kurz-Hohl wurde im Rahmen der Ausstellung Hommage 2021 repräsentativ für den Kanton Appenzell Ausserrhoden ausgewählt, dies obwohl sie bereits mit jungen 22 Jahren nach Bern zog, wo sie wohnhaft blieb. Wie kam es zu dieser Auswahl?
Heidi Eisenhut: Gertrud Kurz-Hohl ist in Lutzenberg AR in einer protestantischen Unternehmerfamilie aufgewachsen. Das religiöse Umfeld des Elternhauses mit der christlichen Grundhaltung, anderen Menschen Hilfe anzubieten, wenn es einem selbst gut geht, waren ausschlaggebend für ihr Engagement auf ihrem weiteren Lebensweg zugunsten notleidender Menschen aus dem In- und Ausland.
Zu dieser Zeit war es nicht selbstverständlich, dass Frauen ausserhalb ihrer Familie Aufgaben übernahmen. Was bewegte Gertrud Kurz dazu?
Heidi Eisenhut: Bereits ihr Vater und ihre Mutter waren in verschiedenen Vereinigungen aktiv und lebten Getrud Kurz ein Anteil nehmendes Leben vor. So war es naheliegend, dass auch Gertrud Kurz Verantwortung übernahm und sich zu einem grossen Organisationstalent entwickelte. Gertrud Kurz verstand es, im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Frau, Hilfe zu leisten. Sie hat die Chance genutzt, dass man ihr Einiges zutraute und konnte dadurch in ihren Aufgaben vollständig aufgehen.
Wie kann Gertrud Kurz auch heute noch als Vorbild wahrgenommen werden?
Heidi Eisenhut: Bei ihr stand nicht die Konfrontation im Vordergrund, sondern die zielorientierte praktische Arbeit. Gertrud Kurz überzeugte mit Argumenten und Menschlichkeit. Sie hat inhaltlich gearbeitet und hat ihre Anliegen aktiv umgesetzt.
Welche Rolle spielte Gertrud Kurz bei der Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in Appenzell Ausserrhoden?
Heidi Eisenhut: Für sie war es ein wichtiges Anliegen, dass alle Menschen gleichbehandelt werden. Gertrud Kurz hat sich in ihrem Heimatkanton nicht aktivfür das Frauenstimm- und Wahlrecht engagiert, jedoch hat sie sich schon Jahre zuvor für die Chancengleichheit eingesetzt und somit wichtige Vorarbeit geleistet. Sie hat in ihrem Rollenverständnis als Frau vor allem die Rolle als Mutter gelebt. So wurde sie auch als «Flüchtlingsmutter» bekannt, die geflüchteten Menschen Unterstützung anbot und wie eine Mutter Ratschläge mit auf den Weg gab. Später standen Frauen wegen diesem Rollenverständnis auch in der Kritik – und auch Gertrud Kurz selbst zeigte sich stets selbstkritisch.
Wie kommt es, dass Gertrud Kurz trotz ihres frühen Wegzugs im Appenzellerland so präsent geblieben ist?
Heidi Eisenhut: Wegen ihrer Sommerkurse für kriegsgeschädigte Menschen im «Sonneblick» in Walzenhausen AR besuchte Gertrud Kurz den Kanton regelmässig. Dadurch blieb sie in ihrer Heimat vernetzt. Es ist faszinierend, wie Gertrud Kurz es geschafft hat, in ihren Versöhnungsseminaren Menschen zusammenzubringen. Noch heute ist sie im Appenzeller Vorderland präsent. Der Wanderweg «Appenzeller Friedensstationen» führt an ihrem Elternhaus vorbei; es gibt dort Informationen über sie.
Dr. phil. Heidi Eisenhut
Historikerin und Leiterin bei Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden
Unsere Co-Präsidentin Nadine Arnold hält im Rahmen der „Morgestund für Frauen“ der Kirchgemeinde Kirchberg ein Referat zum Thema "Gertrud Kurz: Wer war sie und was würde sie uns heute sagen?"
Wann: Mittwoch, 6. März 2019, 9-11 Uhr
Wo: Kirchgemeindesaal, 3422 Kirchberg (mit Kinderhütedienst und freiem Eintritt)
Weitere Infos: http://www.kirche-kirchberg.ch
Die Schweiz ist nicht nur viersprachig, sie ist vielsprachig. In der Schreibmaschinenwerkstatt erleben, behaupten und diskutieren wir die postmigrantische Realität von BabYLoN Schweiz. Demokratisch und visionär. Komm, schreibe und übersetze mit!
Mit Beiträgen von Mano Khalil, Filmemacher, Ariane von Graffenried, Schriftstellerin «Bern ist überall», Çagdaš Akkaya, Übersetzerin & Aktivistin Autonome Schule Zürich, und interessierten Schreibbürger_innen...
Am Samstag, 5. November 2016, 14.00 bis 19.00 Uhr, Restaurant Löscher in der Feuerwehr Viktoria, Viktoriastrasse 70, 3013 Bern.
Am 13.12.2014 ab 17.00 Uhr wird in der Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen bei Basel eine Gedenkplatte für Gertrud Kurz eingeweiht. Jürg Meyer, langjähriges Mitglied des Stiftungsrates, wird an diesem Anlass einen Vortrag über Gertrud Kurz halten.
Bereits unmittelbar nach der Machtergreifung vom 30. Januar 1933 wurden alle Menschen jüdischer Herkunft in Deutschland immer mehr ausgegrenzt und später vernichtet. Damals setzte die schweizerische Abwehrpolitik ein und verhärtete sich bis zur Schliessung der Grenzen im August 1942. Dagegen wandte sich mit einmaligem Mut unter anderem die Flüchtlingsmutter Gertrud Kurz-Hohl (1890–1972), mitwirkend in der Kreuzritter-Bewegung, aus welcher der Christliche Friedensdienst cfd hervorging. Spätestens mit der Kristallnacht am 9./10. November 1938 wurde ihr die vernichtende Tragweite der faschistischen Machtsysteme deutlich. Besonders beeindruckend war ihr persönlicher Einsatz für Verfolgte unterschiedlichster Herkunft. Nach dem Krieg führte sie die Flüchtlingsarbeit weiter, ergänzt durch Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung, unter anderem im Nahen Osten.
Nach der Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 droht eine Verhärtung der Migrationspolitik. Wer in Not in die Schweiz kommt, wird in der in Aussicht stehenden Kontingentierung kaum noch Platz finden. Umso mehr braucht es den Einsatz von Menschen, die fühlen und handeln wie Gertrud Kurz.
Weitere Infos: www.gedenkstaetteriehen.ch
Am 28. Januar 2014 feierte die Stiftung Gertrud Kurz ihr 40-jähriges Bestehen im Kulturpunkt im Progr Bern. Gemeinsam mit gut 50 Gästen blickte der Stiftungsrat zurück und schlug den Bogen von den Anfängen der Stiftung bis heute. Im anschliessenden Podiumsgespräch wagten Annemarie Sancar, Jo Lang und Rohit Jain einen Blick in die Zukunft.
Mehr dazu in den Kurznachrichten 1/2014.
Zu diesem Anlass publizierten verschiedene Schweizer Medien Artikel oder Interviews über das Leben und Wirken der engagierten Flüchtlingsmutter und Friedensaktivistin. Einige dieser Publikationen finden sich auf der Seite Literatur.